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Dienstag, 31. Mai 2016

18. Erzgebirgsradrennen in Markersbach am 29.05.16

Normalerweise macht man sich in meinem Alter Gedanken über: „Hast du den richtigen Haftkleber für deine Gebissprothese besorgt? Wie hoch ist der Luftdruck auf deiner Dekubitusmatratze? Wann muss ich frühs pullern gehen, um rechtzeitig loszukommen, 30 oder 40 min vorher? Hast du am Wochenende auch wirklich deine Pflegeschwester abbestellt?“ Man macht sich auf jeden Fall keine Gedanken darüber: „Welche Kassette fahre ich hinten, welches Blatt vorne, welche Kadenz habe ich im größten Gang bei ca. 70 km/h?“ Allerdings gibt’s ein paar ältere Herren, die sich darüber den Kopf zerbrechen, besonders dann, wenn Markersbach-Time ist.

Also montiere ich mir hinten ein kleines 9er Ritzel (kein Schreibfehler), vorne ein einzelnes 36er, dazu Starrgabel. Das sollte bei 70 km/h und 29er Laufradgröße bei berechneten 126 U/min noch drückbar sein, ohne sich einen Knoten in die Beine zu leiern. Fürs Bergauffahren reicht das große 44er Ritzel hinten allemal bei dem Straßenrennen auf Schotter. Und ´ne Federgabel braucht man hier nicht. Gesagt, getan. Nebeneffekt: Das Bike wird schön leicht.

Trotz untypischer Pünktlichkeit muss ich mein Kfz sehr weit unten parken, so weit unten wie noch nie. Das deutet auf eine Vielzahl von Heizern hin, die ich prompt alle am Start treffe. So auch meinen Teamkollegen Sebastian „FK“ Stark, ihn sehe ich seit September 2015 das erste Mal wieder. Er sieht genauso aus wie früher. Und fit ist er immer noch. Dann geht’s auch schon los.

Am ersten Col zum Oberbecken befindet sich das Feld noch im Warmfahrmodus. Oben angekommen, legt’s mich an einer Querfuge fast hin, ich kann es gerade noch aussteuern und einen (Massen-)Sturz vermeiden. Jetzt habe ich genügend Adrenalin im Blut, was mich veranlasst, mal fix nach vorne zum Flaschenklau durchzufahren und mit ihm die Abfahrt zu genießen. Bret Janschneider tut es mir gleich. Trotz Starrgabel rollt es bei mir gut und kontrolliert hinab, und die Entscheidung, eine 4-zu-1-Übersetzung aufzulegen, war keine schlechte. Unten ist Bret der Erste, der den Gegenanstieg in Angriff nimmt, FK und ich paar Meter dahinter. FK macht jetzt allerdings ernst, wechselt vom Regenerationsmodus in seine GA1-Ausdauer und drückt das Loch zu Bret nicht nur zu, sondern koppelt ihn auch gleich ab. Für mich ist das schon beinahe Anschlag, sodass ich mich bis zu Bret hinziehen lasse, dann aber an Brets Hinterrad bleibe, um den Kreislauf nicht überzustrapazieren. Allerdings schafft es ein Hüne, das entstandene Loch zu FK zuzudrücken: Rennradfahrer Robert Walther. Beide setzen sich langsam ab; die Verfolgergruppe besteht aus zunächst fünf offiziellen Drückern (Straßenfahrer Lars, Bret, Patte, Teamkamerad Christian Schröder, Güldi) und einem inoffiziellen: Torsten „Mütze“ Mützlitz fährt Regeneration vom gestrigen Marathon in Klatovy und hält uns bei Laune. Mitte des Cols drückt Christian mächtig auf die Tube, dass nur die beiden alten Herren (zusammen 85 Lenze) mehr oder weniger schmerzfrei dranbleiben können. Und natürlich Mütze, der Regenerierer. Das flache Stück nutzen unsere Ex-Kollegen zum Aufschließen, sodass wir nun sogar sieben Fahrer sind: „Roland“ Kunz und ein weiterer Rennradfahrer namens Alexander Loos auf seinem Crosser haben sich dazu gesellt. Die Asphaltrampe drückt unser sehr starker Christian wieder von vorne und entzerrt etwas das Gruppetto, auch Straßenfahrer Lars muss kurz abkoppeln, nicht aus Altersgründen, sondern weil ihm die Kette vom Blatt hüpft beim Runterschalten. Da lobe ich mir mein Single-Kettenblatt. Lars drückt das Loch etwas später wieder zu. Im Flachstück gehen bei moderatem Tempo fast alle durch die Führung, aber auch hier lupft an einer kurzen Rampe Christian wieder am Gas. Keiner geht mit, weil keiner den Christian kennt. Noch nicht … Ich gebe selbst kurz Zwischengas, und siehe da, alle geh’n se mit wie beim Rattenfänger von Hameln. Also schnell Gas raus, um den Teamkollegen nicht zuzufahren. Das übernehmen etwas später Bret und Patte.

Den Col de Fichtel hinauf zündet beim Crosser der Turbo, wir holen ihn aber auf der Abfahrt bei knapp 90 Sachen wieder ein. Straßenfahrer Lars macht dort die Pace und verpasst etwas den Bremspunkt da unten. In unserem Alter lassen Sehstärke und das räumliche Wahrnehmungsvermögen sukzessive nach. Er nutzt beim Einlenken in die sich anschließende Schotter-Rechtskurve nicht nur die ganze Wegesbreite aus, sondern auch die Flora und Fauna am linken Fahrbahnrand. Sprichwörtlich querfeldein. Da will ich ihm mal lieber nicht zu nahe kommen und überhole ihn. Jetzt kommt die Stunde der 36/9er Übersetzung. Mit 60 bis 70 Stundenkilometern kann ich kontrolliert die Kurbel drehen, während Patte und auch Christian nicht mehr wirklich treten können. Dasselbe Spiel wiederholt sich die nächste Abfahrt zur Brücke runter, wo uns der Crosser etwas entwischt, Patte das Loch wegen seiner zu kleinen Übersetzung nicht zuleiern kann. Klemme ich mich halt vor Patte und schließe die Lücke. Kann ja noch treten. Ätsch.

Der kurze Col nach der Brücke bringt dann eine Vorentscheidung, als der greise Lars merklich die Pace erhöht. Nur Christian und ich mit etwas Mühe und zwei Kilo zu viel auf den Hüften bleiben dran. Christian geht auch noch vorbei am Drei-Meter-Mann. Langsamer wird’s dadurch nicht. Auf einmal sind wir nur noch zu dritt. Unsere Dreisamkeit wird allerdings unterbrochen durch ein Zischgeräusch an Christians Hinterrad. Cheise. Plattfuß. Er hätte heute locker was gerissen, vor allem in seiner AK. Aber mit seinen 16 Jahren sollte das hier noch nicht die letzte Chance gewesen sein. Seine Vaterfiguren Lars und Güldi sind nun allein im Wald unterwegs. Ein Ausruhen gibt’s nicht, denn wir wollen und müssen uns ja absetzen. Außerdem erwartet man uns schon daheim im Pflegeheim bei Kartoffelbrei und anschließendem Windelwechsel. Unter uns Vereinskollegen klappt auch die Führungsarbeit bestens, was zur Folge hat, dass wir Robert Walther in Sichtweite bekommen. FK hatte ihn zwischenzeitlich abgekoppelt, als er vom GA1- in den GA2-Modus wechselte. Mit Robert Walther bin ich schon Ende der Neunziger hier an gleicher Stelle um die Wette gefahren, und zwar mit einem 26er Barracuda Comp mit einer Rock Shox Judy und brachialen 5 cm Federweg, einem 49 cm breiten Lenker, Shimano-XT-V-Brakes, einer Dreifachkurbel von Race Face, einer XT-Achtfachkassette und einer Übersetzung von 48/11, quasi im Schaufelraddampfermodus. Mit einer Kurbelumdrehung kommst du da fast einen Kilometer weit. Da hat’s knapp für mich gereicht. Damals war FK nur niedliche 11 Jährchen alt und Grundschüler, Christian gab’s noch gar nicht, er war bestenfalls in Arbeit, wohingegen der 3-m-Lars die Pubertät schon jahrelang hinter sich gelassen hatte. Vermute ich zumindest. Wo ist die Zeit nur geblieben? Das zur Historie, weiter im Text.

Der böse Lars versucht am vorletzten Anstieg erneut, mich abzuschütteln. Das deute ich einfach mal so, da das Tempo schneller wird. Zum Glück bleibe ich jetzt nach kurzem Turbolocheffekt dran und kann zusammen mit ihm gen Ziel ballern. Lars gibt aber nicht auf und fährt den holprigen „Downhill“ zum Unterbecken recht zügig hinab, um mir das Leben mit meiner Starrgabel schwer zu machen. No way, ich bleibe auch hier dran, weil ich Oberarmtraining mache. Nach kurzem Geplänkel mit Stehversuchen und einem tiefen Schluck aus unseren Schnabeltassen gibt der Straßenfahrer gleich nach der Steilkurve bergauf Richtung Zielanstieg Stoff. Okay, er kommt zehn Meter weg. Pech gehabt, nicht mein Tag, sicher schleichender Plattfuß, Bremsscheibe schleift bestimmt, Hungerdödel, schwerer Helm, Heuschnupfenanfall wegen des regen Pollenflugverkehrs, Beinahesturz wegen der Kollision mit einem Marienkäfer, verzögerte Reaktionsfähigkeit durch Synapsenblockade aufgrund des Elektrosmogs vom Umspannwerk auf der rechten Straßenseite usw. Zu den zehn Metern gesellen sich am finalen Plattenanstieg noch mal geschätzte fünf dazu. Okay, Pech gehabt, nicht mein Tag … Irgendwann endet Lars‘ Vortrieb bzw. für Dativfetischisten „dem Lars sein Vortrieb“. Sein Tempo bleibt konstant. Nun gut, vielleicht geht ja doch noch was. Gang runterschalten, Schippe drauflegen, raus aus dem Sattel, Vollgas. Der Arzt hat gesagt, ich darf das. Ich schraube mich tatsächlich an Lars heran – und vorbei. Na hui, geiler Nachbrenner, ein Hoch auf die Jungbohnen bzw. „nackschen Männeln“ im Salat meiner leiblichen Modder vom Vorabend. Der Straßenfahrer kann nicht mehr kontern, und vorne rettet sich Robert Walther mit neun Sekunden und wenig Luft im Hinterrad als Zweiter ins Ziel, wo ich erst mal Sterne sehe. Drei Sekunden nach mir sieht der Lars dann die Sterne. Doch das alkoholfreie kühle Blonde verschafft schnell Linderung und lässt uns – Christian, Lars und mich – zur Ausrollrunde hoch und rund ums Oberbecken aufbrechen. Im endlich mal gemütlichen Tempo, versteht sich.

Die Siegerehrungen gehen schnell im Gegensatz zu Aue und Eibenstock gleich um die Ecke bei bestem Wetter und ohne 3 cm große Hagelkörner über die Bühne. Mit den Gutscheinen für Gesamt- und Einzelwertung kann man wirklich was anfangen. Für die Damen gibt es endlich auch eine Bergwertung. FK spendet einen seiner beiden bei der Bergprämie gewonnen Reifen unserem Nachwuchsstar Christian, der sich ja einen zerlegt hat. Und auf dem AK-Podium der Senioren 2 meint Bret (P3) auf meine Frage hin, ob wir denn wirklich schon so alt wären: „Nee, die haben sich bestimmt vertan.“ Recht hat er.

Ergebnisse: hier.
Next race: Marienberg oder Most. Das most ich mir noch überlegen. 

Lars vs. Güldi
(c) by Robert Oehme



1 Kommentar:

stunni hat gesagt…

Starke Leistung und schicker Bericht, Guido ;)