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Montag, 20. Juni 2016

UCI Marathon World Series Malevil am 18.06.16

Letztes Jahr konnte ich verletzungsbedingt leider nicht teilnehmen, weil ich mir in Tschechien den linken Arm zerlegt hatte. Dieses Jahr stehen die Vorzeichen besser. Grund genug, sich für die Männer-Elite-Kategorie (MEL bzw. Muschis Elite) für die knapp 100 km anzumelden. Mir bleibt auch gar nichts anderes übrig, da ich ja eine UCI-Lizenz gelöst habe. Da würde ich also auch bspw. mit 116 Lebensjahren in der MEL fahren. Nebeneffekt: Man kann hier trotz Ü40 Weltranglistenpunkte sammeln und sich für die Profi-WM qualifizieren, sofern man in der MEL unter die Top-20 radelt. Aber daran denke ich erst mal nicht, heile und fix durchzukommen, das steht auf dem Plan. Ein Unterfangen, was angesichts der massiven Niederschläge die Tage zuvor und den daraus resultierenden schlammigen Streckenverhältnissen gar nicht mal so einfach werden soll …

Zusammen mit Torsten „Mütze“ Mützlitz und unseren beiden Fullys geht’s im Kombi tags zuvor nach Jablonne, um die Startunterlagen einzuheimsen, und nach Oybin in die luxuriöse Unterkunft. Dort treffen wir wenig später auch schon Familie Stark-Hoffmüller mit ihren beiden Nachzüglern Paul und Emil. Rein abkürzungstechnisch hieße das FK, LH, FKM 1.0 und FKM 2.0. Da Mütze und beide FK-Minis kaum Platz beanspruchen, ist die Bude mit sechs Mann zwar zweifach überbucht, aber bewegen kann man sich trotzdem noch. Nach den Spaghetti, dem Fußball und dem perfekten Windelwechsel bei den FKMs durch Laura geht’s für Mütze und mich auf die Doppelschlafcouch, für die gesamte Familie Stark-Hoffmüller ins Ehebett.

Um 5.45 Uhr kräht der elektronische Hahn, geschlafen habe ich ganz gut, weil Mütze nur mäßig schnarcht, und FK meint, er habe geträumt, dass ihm der Lenker in einer Abfahrt bricht und er schwer stürzt. Hmm. Frühstück und Notdurft sind fix verrichtet, sodass wir 7.30 Uhr der Unterkunft mit Kind und Kegel adieu sagen können. Schnell noch die Blaumeise aus meinem Kühlergrill entfernen, die ich mir irgendwo bei Bautzen eingefangen habe, und ab geht’s nach Jablonne. Um acht schlagen wir auf, halb neun ist der Start für die 100 km in der Ortsmitte. Zeitlich sehr knapp alles. Zum Glück habe ich mir gestern Abend bereits die Startnummer ans Trikot geheftet, weil ich mit den Sicherheitsnadeln auf Kriegsfuß stehe. Nun aber geht das ganze Chaos erst los …

Beim Einordnen in den MEL-Startblock bemerkt die Renn-Kommissarin, dass meine Lenkernummer nicht mit meiner Rückennummer übereinstimmt. Die Dame hat Recht. Super Sache, auf dem Rücken habe ich meine eingebuchte 28, am Lenker Mützes 35. Und keiner hat’s gemerkt. Mütze hat am Lenker meine 28 und auf dem Rücken gar nichts, und das nicht, weil sein Trikot zu klein ist für die Startnummer, sondern weil seine Rückennummer 35 noch in seinem Startbeutel ihr Dasein fristet. Da hat des Nachts die Startertütenfee Mützes und meinen Beutel ausgetauscht in der Herberge, die Böse. Am Start fängt ein Rennkommissar an, mir die korrekte 28 vom Rücken abzupopeln und mir seine Kamera gegen die Birne zu schlagen. Ich übernehme das jetzt mal lieber selbst, geht einfach schneller. Die 28 macht sich Mütze ans Trikot, ich mir die 35. Woher Mütze die 35 zaubert, ist mir bis jetzt unklar. Die liegt doch eigentlich im Kfz? Keine Ahnung. Pünktlich 30 s vor dem Start sind Mütze und ich fertig, nur die Startnummern sind vertauscht. Mütze ist Güldi. Güldi ist Mütze. Und schon geht’s zügig los.

Wie immer sind die Profis, Halbprofis und Viertelprofis schnell außer Sichtweite, ich beginne recht defensiv, weil ich die Strecke kenne und weil ich meinen Pulsgurt daheim vergessen und keinen Wattmesser am MTB habe. Ich fahre nach Gefühl. Irgendwann befinde ich mich jedoch in einer Fünf-Mann-Gruppe, die leider nicht so gut läuft. Steffen Langer ist auch dabei, gibt aber beizeiten im ersten ansteigenden Waldstück Gas. Wir lassen ihn fahren. Dann kommt so ein oller Schlammanstieg, wo ich aus unserer Gruppe der Einzige bin, der den komplett durchhobelt auf dem Bike, und meiner Gruppe davonfahre. Ein Fully hat auch Traktion bergauf. Das Loch zu Steffen wird etwas kleiner, nur stehe ich einige Zeit später ganz allein im Wald. Irgendwo habe ich einen Abzweig verpasst. Ich drehe eine Runde, finde aber den Weg nicht mehr, verflixt. Irgendwann kommt meine ehemalige Gruppe angerollt, die sofort weiß, wo’s langgeht. Ich sah den Wald vor lauter Bäumen nicht, wie sich herausstellt. Die „dicke“ Kaiserin verbottelt mich astrein unmittelbar danach, und weiter geht die Hatz. Bergauf drücken die Tschechen gutes Tempo und koppeln ein paar Landsleute ab, auf den Geraden und bergab wirkt das Tempo gedrosselt. 

Bei Kilometer 32 kommen wir dann an so eine kurze, mit größeren Felsbrocken gespickte Abfahrt mit drei Ausrufezeichen. Wenn in Tschechien Abfahrten mit Ausrufezeichen oder Totenköpfen versehen werden, sollte man sich durchaus vorsehen. Merkwürdigerweise steht dort Mütze und winkt uns zu. Ich denke erst, dass er Panne hat, aber als ich in die Abfahrt einschwinge, sehe ich das Dilemma. Dort liegt jemand vor Schmerzen gekrümmt, der mir sehr bekannt vorkommt. Ich springe sofort ab vom Rad, während die Tschechen vor und hinter mir weiterdüsen. Es geht schließlich um Sekunden in der Endabrechnung, und der Typ, der hier quer zwischen den Felsblöcken im Weg liegt, macht sicher nur Mittagsschlaf … Meinen Teamkollegen und Übermensch Sebastian Stark hat’s echt übel zerlegt. Während Torsten den Verkehr am Abhang regelt, kümmere ich mich um FK. Sein Helm ist in mehrere Teile zerbrochen, Hämatome am Kopf sind nur das kleinere Übel, schlimmer ist sein Rücken. Als ich als „Halbmediziner“ seine Arme und schließlich seinen Rücken und seine Wirbel abtaste, quält er sich einen Schmerzschrei heraus. Reden kann er nicht, das Atmen fällt auch sehr schwer. Er röchelt. Kein Wunder bei einer beidseitigen Lungenquetschung und einem durchaus lebensbedrohlichen Pneumothorax. Dass noch vier Brust- und ein Halswirbel gebrochen, teils sogar noch komprimiert und verschoben sind, verschlimmert die Sache noch mehr. (Das hier darf ich alles nach Rücksprache mit FK himself schreiben. Dadurch ersparen wir ihm Nachfragen zu seinen Verletzungen.) Seine Arme kann er zum Glück noch bewegen. Reden ist nicht viel, weil er’s nicht mehr kann. Bei solchen Bildern stellt man sich die Frage, wofür das alles? Mir geht das sehr nahe, weil ich ihm nicht wirklich helfen kann und weil mir Laura und seine beiden Knirpse durch den Kopf schießen.
Hilfe wurde zum Glück schon angefordert, sodass wir sicher sein können, dass er gleich stabilisiert wird. Ich sage zu Torsten, er solle weiterfahren, Torsten meint, ich solle weiterfahren, FK röchelt auch, ich solle weiterfahren, also fahre ich irgendwann weiter – im Halbgasmodus, geschockt von den Bildern. Den Rettungskräften weise ich noch den genauen Weg, kurz darauf wird ihm professionell geholfen. Pitt, der inzwischen an die Unfallstelle gekommen ist, kümmert sich weiter um ihn. Wenig später wird Sebastian per Helikopter nach Liberec auf die Intensivstation geflogen, wo er bis dato weiter stabilisiert und behandelt wird. Er darf jetzt geschlagene sechs (!) Wochen nur im Bett liegen, quasi bewegungslos. Eine OP wird es aller Voraussicht nach erst einmal nicht geben, und damit auch keinen X-Man 2.0. (Auch das darf ich schreiben.) Unser Team und ich wünschen ihm beste und schnelle Genesung, auf dass er schon bald wieder laufen und irgendwann auch wieder Rad fahren kann!

Der Rest des Rennens plätschert nun so dahin, da die Bilder im Kopf ständig mitfahren. Einige der Tschechen hole ich trotz vorsichtiger Bergabfahrweise wieder ein, dann haut’s mich trotzdem selbst vom Gaul in einer schlammigen Spurrinne, Mütze kommt irgendwann brüllend von hinten an mich heran, dass ich doch bitte warten möge, bis er angedockt hat. In Oybin bei Kilometer 55 werden wir bereits sehnsüchtig erwartet und erneut von Sandra verbottelt, Mütze teilt Laura die Geschehnisse mit. Laura begibt sich zusammen mit der Kaiserin sofort Richtung Start/Ziel. Damit fällt für uns die dritte eigene Verpflegung aus, aber es gibt im Moment deutlich Wichtigeres.
Den Hochwald empor kämpfe ich mit Traktionsproblemen, Torsten kommt da deutlich besser hinauf und enteilt mir. Bergab fahre ich trotz Fully um einiges vorsichtiger als üblich, was zur Folge hat, dass zwei Tschechen aufschließen. Die Verpflegungsstelle am Ende der Abfahrt soll für viele Kilometer die letzte bleiben, also fleißig nachtanken, was nur mit einem Boxenstopp wirklich funktioniert.
Der von mir am meisten gehasste Streckenabschnitt folgt wenig später. Dort kann ich zwar einen Tschechen abkoppeln, aber trotzdem stehe ich im Moment wie eine Litfaßsäule. Die Schiebepassage und das wurzelige Wiesenstück am Kamm oben verteufle ich jedes Mal aufs Neue. Über schlammige und nicht ungefährliche Abfahrten und einen steilen Anstieg rette ich mich bei Kilometer 77 in die Feedzone und trinke erst mal eine Flasche auf Ex. Banane, Apfelsine, 2 Gels müssen auch dran glauben, zwei Flaschen nehme ich mit an Bord, eine davon im Trikot, weil ich am Fully nur einen Halter habe. Zu diesem Zeitpunkt bin ich fast wieder an meiner ehemaligen Gruppe dran, aber die scheinen besser getrunken zu haben, weil die durchziehen an der Verpflegung. Nach meinem Boxenstopp sind sie natürlich wieder weg.

Ab Kilometer 80 ungefähr zündet bei mir der Turbodiesel. Zwei Elite-Muschis und einen schnellen Hobbyfahrer kann ich noch stellen, bevor ich mit jetzt wieder guten Beinen als 16. der MEL-Klasse und 23. der Gesamtwertung ins Ziel rausche auf einer zu den letzten Jahren etwas verschärften Strecke. Mütze ist schon da. Aber er ist nur 18. der MEL-Klasse und 29. im Gesamtklassement. Nanu, Hase und Igel. Klar, die Tütenfee hat natürlich auch unsere Transponder vertauscht. Macht aber nix, die Platzierungen sind heute sekundär. Und dass ich nun Weltranglistenpunkte habe und für die UCI-MTB-Marathon-WM am kommenden Wochenende in Laissac qualifiziert bin, auch. Keine Sorge, lieber Alban, ich komme nicht. Zu kurzfristig und kein Geld übrig für Unterkunft, An- und Abreise, Nationaltrikot und -hose.
Pitt Götze (100 km) und Bastian Wauschkuhn (65 km) erreichen zum Glück im Ganzen das Ziel.

Nach dem Duschen mit kaltem Wasser, dem leckeren Essen und dem englischen Plausch mit der ukrainischen Gesamtsiegerin, die mich in ein Gespräch verwickelt, holen wir uns noch Infos zum Gesundheitszustand unseres Übermenschen ein. Es bleibt bei der schlimmen Diagnose. Dass die Heimfahrt da nicht sonderlich lustig ausfällt, ist klar. Und man möge mir verzeihen, wenn dieser Bericht hier auch nicht mit dem üblichen Augenzwinkern formuliert ist.

Lieber Sebastian, wir denken an dich, ich habe zweimal in zwei Nächten von dir geträumt, wünsche dir allerbeste Gesundung, und wenn du oder Laura Hilfe benötigen, sagste bzw. schreibste Bescheid. Übermenschen heilen übrigens doppelt so schnell wie wir Normalos!

Ergebnisse: hier.
Next race: Mad East Challenge.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Guido,
richte bitte vom gesamten Radon-Eleven-Team (allen voran von unserem Silvio "Hausch") allerbeste Grüße und schnelle Genesung aus! Der Familie ganz viel Kraft, dass 1.0, 2.0 und Frau die Zeit ohne ihren "Übermensch"-Papa schnell überstehen!

Guido hat gesagt…

Danke euch, das mache ich natürlich. LG Guido