Es ist fünf nach zehn. Sandra
Kaiser, die an der Hüfte lädierte Nichtversicherungsmaklerin, entscheidet sich
trotz ihres Handicaps immerhin für die 60 km, betreibt aber noch in aller Ruhe Konversation
mit anderen Damen. Möglicherweise geht es um die Einsatzmöglichkeiten
elektrischer Fliegenklatschen. Ich erinnere sie, dass das Rennen halb elf
startet, sie aber noch unausgewü..., unausgepfü..., nicht umgekleidet und
nicht warmgefahren ist. Aber sie schafft es pünktlich in die
Startaufstellung. Respekt! Dort stehen auch Straßenfahrer Lars Strehle, Patrick
„Patte“ Oettel formerly known as Müller, Torsten „Mütze“ Mützlitz und weitere
schnelle Leute. Der Start erfolgt unterm vom Winde beinahe verwehten Torbogen.
Die gemütliche Ortsdurchfahrt
durch Geyer findet am ersten Anstieg ihr für meine Beine schmerzhaftes Ende –
aua. Ich fange mir – wie immer zu Beginn eines Rennens – einige Meter Rückstand zur
Spitze ein. Patte, Lars, Mütze und drei weitere Fahrer ziehen ordentlich am
Horn. Nach den holprigen Downhills steht Patte mit Pattfuß, äh, Plattfuß am
Rand, ich bin so frei zu fragen, was los sei. Patte meint: „Platten, haste mal
´ne Pumpe für mich?“ Ja, habe ich, bin doch lieb. Mit roher Gewalt entreiße ich
sie nach paar Sekunden meinem Rahmen und reiche sie dem Mann, der früher Müller
hieß. Ohne Pumpe fahre ich weiter. Na, ob das gut geht? Mein hiesiger Begleiter
nutzt das, um wieder etwas von mir wegzukommen. Nach knapp einem Kilometer hole
ich ihn wieder ein. Zu zweit pflügen wir die schönen neuen Trails – ein echter
Zugewinn – entlang hinab Richtung Schanze, wo man zwischen Chickenway und der
heftigen Variante wählen kann. Da ich ja seit Seiffen kein Chicken mehr bin,
wähle ich die harte. Und die ist im Vergleich zu Seiffen völlig harmlos. Hier
gibt mir der Polofahrer, Altmeister und Streckenposten André Meyer meine Pumpe
zurück, die Patte ihm vorher in die Hand drückte. Fein so! Am Steilanstieg geht
mein Mitfahrer nach hinten verloren, während ich etwas später bergauf das Loch
zu Mütze schließe. Mit ihm im Schlepptau fahre ich noch das Loch zur
Spitzengruppe um Lars und zwei bis dato unbekannten Fahrern zu und kann mich
erst mal bissl erholen, als es über die Straße Richtung Waldautobahnen geht.
Eine verwegene, ältere Pilzsucherin, am linken Fahrbahnrand stehend, glänzt
dabei mit üppiger Oberweite, die bedenklich auf Kollisionskurs mit mir geht –
die Oberweite, versteht sich. Ich komme sehr knapp, aber sicher an ihrer
rechten Milchdrüse vorbei, Mütze tut es mir gleich und amüsiert sich köstlich.
Auf den Waldautobahnen dann passiert nicht viel, alle arbeiten solide. Nur
meine Reifendruckwahl ist etwas zu hoch kalkuliert. Der Rücken dankt es mir in
den Wurzelpassagen.
Zur Rundendurchfahrt feuert
uns der starke Patte (DNF) an. Anne „Strehle“ verbottelt ihren Lars und mich.
Die Asphaltrampe wird zügig emporgeleiert, anschließend wieder ins Tal
gedonnert, um die nächste kurze Rampe in Angriff zu nehmen. Ich fahre jetzt von
vorn mein Tempo, bin dann aber überrascht, als wir nur noch zu dritt sind:
Mütze, 3-Meter-Mann Lars und Güldi. Da Mützes Stärken die Drückergeraden nicht
sonderlich sind, übernehmen Lars und ich häufig die Führung. Lars vom Mars kurbelt
durchaus zügig die Gripstones hinauf, zu dritt – und ich immer noch mit zu viel
Luft und suboptimaler Fahrweise – die Trails zur Schanze wieder hinab. Das mit
der zu vielen Luft soll sich alsbald ändern. Zum zweiten Mal grüßen wir
Schluchtenjodler Onkel Hans Renner und Polofahrer André. Ab Steilanstieg
Schanze fahre ich alles von vorn, Anne verbottelt Lars und mich, und immer noch
von vorn geht’s am Ana Mare vorbei in die Schlammtrails. Kurz nachdem wir auf
dem Schotterweg angekommen sind, macht’s dann hinten zisch bei mir, der Reifen
ist schlagartig platt. Lars und Mütze passieren mich, und ich wünsche ihnen
allseits gute Fahrt. Bis ich den Schlauch vom Klebeband (Panzertape) gelöst
habe, vergeht eine Weile, das muss ich ihn Zukunft anders lösen. Trotzdem
kommen unsere direkten Verfolger erst mit recht großem Abstand daher. Dennoch
fragt jeder, ob er mir helfen kann. Nö, mir ist nicht mehr zu helfen. Irgendwann
habe ich den Schlauch drin und notdürftig aufgepumpt, sodass die Fahrt
weitergehen kann. Ich befinde mich inzwischen auf Platz 10. Woher ich das weiß?
Ein Auge schaut auf die Strecke, das andere auf den Schlauch. In meinem ersten
Leben war ich Chamäleon. Die Plätze 7, 8 und 9 kann ich nach knapp einem
Kilometer fair überholen, Platz 6 hole ich mir in den Drückerpassagen im
zweiten Rundenteil, wo dieses Mal keine Milchdrüsen den Weg einengen. Unterwegs
grüße ich unsere Laura Hoffmüller in Begleitung ihrer Schwester, bis mir just Platz
5 auf der Rollskistrecke in direkte Sichtweite kommt und es ins steile
Bergabstück geht. Noch fix vorbeigehuscht am Einradfahrer, wähle ich die
übliche Linie, doch auf einmal schlägt’s hinten durch. Schlagartig ist die Luft
raus, und auf der Felge geht’s etwas unrhythmisch da hinab. Der Sanitäter im
Tal hat zwar alles dabei für Herztransplantationen und Wiederbelebungsmaßnahmen
usw., doch leider keinen Schlauch. Geht’s halt zu Fuß den Berg hoch. Blöd ist,
dass sich um mich herum nur Einradfahrer oder 26er Bikes befinden, die i. d. R.
keinen 29er Schlauch dabei haben. Gut, fahre ich die letzten rund 5 km eben
schön sachte auf der Felge weiter. Okay, Chuck Norris hätte, selbst auf der
Felge fahrend, das Rennen noch locker gewonnen, aber ich bin nicht Chuck
Norris. Dennoch überhole ich in der Wurzelpassage und auf der Felge noch einen
Fahrer, obwohl er keinen Platten hat. Wie geht denn das? Ich bin der Schwager
von Chuck Norris. Der Einradfahrer von eben, der mich bergauf wieder überholt
hat, bemerkt, dass ich einen Platten am Hinterrad habe. Nein? Die schnellen
Schotterstücke freilich muss ich sehr langsam machen, um die Felge nicht zu
schrotten. Mir reichen schon die nun vergeigten 35 EUR Startgebühr, da soll
nicht auch noch die Felge zu Bruch gehen. Hier werde ich von weiteren Fahren
kassiert. Etwas später stehe ich vor der Entscheidung, die auf dem Weg
gekennzeichnete Rampe im gewagten Sprung zu nehmen oder den normalen Weg.
Würde mein Rücken nicht so schmerzen, hätte ich natürlich die Rampe genommen. Zum
Ziel ist es nun nicht mehr weit, einmal bricht mir das Hinterrad noch
gefährlich aus, und wenig später finishe ich unter ferner liefen. Lars siegt souverän, Mütze
bricht am Ende etwas ein und wird Vierter. Schade, vielleicht hätten ja meine
Beinchen gereicht, um Lars hintenheraus ein wenig zu ärgern.
Durchs Ziel rollen, keine
Finisher-Medaille abgreifen, kein Essen, Rad putzen, Guido putzen, Rad ins
Auto, Guido ins Auto, und tschüss. So schnell war ich nach einem Rennen noch
nie zu Hause. Daheim noch fix die Wut aus den Beinen rausfahren auf dem
Rennrad, und weil’s so schön ist, heute zum dritten Mal auch die Luft rausfahren
aus dem (Vorder-)Reifen und zum ersten Mal für heute eine Speiche rausfahren
aus dem Hinterrad. Zu viele Kraftreserven. Perfekter Tag. Nun denn, vielleicht
läuft es in Eierstock besser, dann vielleicht schon als Großvater. Denn Katze Coco
sieht inzwischen aus wie ein Medizinball mit Pfoten und Schwanz. Sie hat
übrigens nachweislich neun (!) Milchdrüsen, nicht nur acht. Hammer!
Chuck Norris sein Schwager (c) by Mario Zinn |
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