Damit ich meine Flaschen
losbekomme, bin ich überpünktlich vor Ort. Rico Lasseck macht's durch seine
multiplen sozialen Verbindungen möglich. Er organisiert quasi die Verbottlung
des halben Starterfeldes. Der gestörte Astranaut A. Meyer weist mich in die
Startaufstellung ein, ich darf zu meiner Freude ganz vorne ran. Spart Körner.
Herr Lasseck zupft mir noch fix meinen Trikotkragen zurecht, denn wenn man
schon nicht viel drauf hat, sollte man wenigstens gut aussehen. Ein Schatz, der
Rico.
Wer kommt heute für den
Tourneesieg infrage? Natürlich die üblichen Verdächtigen um die Fahrer Benjamin
bzw. Michael bzw. Benjamin Michael, M. Langhans, D. Seidel, A. Albrecht, J.
Hummel und der Hüne T. Aurich aus Amtsberg. Top-Favorit ist aber mal wieder
Jens Weißflog. Er hat die Tournee schon viermal gewonnen und steht auch im
Startgelände herum.
Punkt 10 Uhr fällt der Startschuss bei angenehmen 10 Grad.
Zunächst ohne Jonas Hummel. Steckachsenbruch und Havariebehebung neben der
Strecke. Er muss das Feld von hinten aufrollen, falls er überhaupt losgekommen ist. Ich persönlich genieße meine
ersten Führungsmeter in 2018. Ein schönes Gefühl, nur leider viel zu kurz.
Das vordere Feld rollt
geschlossen dem Bearstone entgegen. David Seidel macht bergauf ernst und huft
spürbar an. Folgen können nur die Fahrer Maximilian Langhans, Anton Albrecht
und Benjamin bzw. Michael bzw. Benjamin Michael. Ich folge einige Meter
dahinter, den Hünen Thomas Aurich im Schlepptau. Der Hüne drückt sich freilich
bergauf noch an mir vorbei, aber später im Flachstück nach der Bearstoneabfahrt
sauge ich mich an denselben wieder heran. Zu zweit nehmen wir die Verfolgung
der vier Leute auf. Was und wen ich in meinem Radfahrerleben schon alles
verfolgt habe, geht auf keine Kuhhaut. Uns gelingt es bis zum Col de Pöhl, wo mich ABV Glocke
perfekt verbottelt, leider nicht, zwingend an die Ausreißer heranzufahren,
obwohl wir uns gut abwechseln. Boden verlieren wir aber auch keinen. Auf dem
welligen Weg zum Col de la Scheibe kopple ich den Hünen eher unfreiwillig ab
und mache Druck nach vorn. Ich komme den Jungspunden tatsächlich näher. Nur
noch eine Minute Rückstand. Doof ist, dass ich das viele Kilometer alleine
versuche bei zum Teil ordentlichem Gegenwind. Alter schützt vor Torheit nicht.
Am Fuße des Col de la
Scheibe werde ich verbottelt, ja, von wem eigentlich? Die Familie nennt sich
Benedix, und sie hat einen Sohn namens Silas. Der Sohn ist wie ich mit Glied –
Mitglied im RSV Erzgebirge. Rico Lasseck, unser Verbottlungsorganisator, kennt
sie alle, so auch den Silas, und spricht ihn an. Silas kennt seine eigenen
Eltern. Seine eigenen Eltern sind lieb, kennen mich aber höchstens vom
Hörensagen. Silas' Eltern haben außerdem einen Hund. Durch die mehr oder
weniger vorhandene Bekanntschaftsteilmengenbeziehung zwischen den Protagonisten
ist Familie Benedix geradezu prädestiniert fürs Verbotteln, und der Hund
erleichtert mir den visuellen Kontakt des männlichen Benedix'schen Verbottlers
im Aufstieg zum Col de la Scheibe. Ich greife die Flasche. Danke! Kurz vor der
Kuppe kommen mir die vier Spitzenreiter entgegen. Gut eine Minute Rückstand.
Mensch, das muss doch zuzudrücken gehen. Geht es nicht, im Gegenteil. Mein
Vorsprung auf meine direkten Verfolger, wo auch meine beiden Teamkollegen Sven
Püschel und Mike Baumann vertreten sind, ist auch nicht besonders groß, und die
sind zu sechst oder siebt. Auf dem Weg zum Unterbecken Markersbach nehme ich
Gas raus und lasse mich einholen. Zuerst rollt Sven P. heran, später im Anstieg
zum Oberbecken noch Mike B. und Roy Black oder Bruns. Bergab zum Ephraimhaus
ist das mit meiner Bereifung so 'ne Sache auf losem Split, doch mich mault es
zum Glück nicht. Die Schulter und der Rücken sind nämlich immer noch mehr oder
weniger kaputt. Mike B. seinerseits nimmt den Downhill ohne nennenswerte Bremswirkung in Angriff. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Im Tal erhalte ich
meine dritte und letzte Flasche von Udo Stein persönlich. Auch hier ganz lieben
Dank!
Unser Quartett zieht in
gutem Tempo den Friedrichsbachweg hinauf, wo ich nun doch Probleme bekomme im
letzten Drittel und die Kollegen leider ziehen lassen muss. Da habe ich mich
wahrscheinlich etwas zu sehr aufgerieben bei der Verfolgung der vier Leute da
ganz vorne. Vor zwanzig Jahren ging das alles irgendwie leichter von der
Hand bzw. vom Fuß. Dass ausgerechnet jetzt die langen Geraden kommen und ich
keine Gruppe habe, ist außerordentlich bekloppt. Mein rechter, rechter Platz
ist leer, ich wünsche mir den Hünen her. Doch der fährt ein paar Minuten hinter
mir. Cheise. So gut es eben geht, versuche ich, mein Tempo einigermaßen aufrechtzuerhalten.
Schwindelig wird's mir auch, was entweder auf zu hohen Alkoholkonsum während
der Tour oder einen Hungerast schließen lässt. Schnell ein Zünderli zutschen,
damit ich nicht vom Hobel falle. Im Anstieg zur Ziege hat jemand scheinbar
einen noch größeren Hänger als ich. Anton Albrecht. Kurz nach der Ziege stelle
ich ihn kampflos, obwohl immer noch nicht viel geht bei mir. Also noch ein
Zünderli einschmeißen, um die Wellenschaukel, den finalen Anstieg, fahrend
hochzukommen. Das gelingt, nur der Rückstand hat sich leider drastisch
vergrößert auf den letzten Kilometern. Im Ziel bin ich ziemlich grau, darf mich
über Platz 7 und eine eher mäßige Zeit ärgern und mit meinen beiden
Teamkollegen Mike (P4) und Sven (P6) runter ins Tal düsen zum Catering und zum
Duschen. Mike beweist mit P4 eindrucksvoll, dass Bremsen in der Tat
überbewertet wird.
Mein Bike stattdessen
hält das dritte Mal in Folge ohne Schaden durch. Muss an der neuen Marke liegen. Das gab es, glaube ich, das
letzte Mal in den späten Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts, wo Mike B.
auf die Welt kam, quasi als zweiter Ziehsohn nach Ch. Schröder. Wenn wir schon
dabei sind: Wenn ich mir die Geburtsdaten der vor oder direkt hinter mir
liegenden Heizer so anschaue, werde ich depressiv – und neidisch. Die müssen bei der Online-Anmeldung bei Weitem nicht so lange nach dem Geburtsjahr scrollen wie ich. Gemein. Sollte sich meine depressive Episode legen, stehe
ich auch in den nächsten Wochen am Start des einen oder anderen Rennens. Bis
dahin Kopf hoch!
Ergebnisse: hier.
Vorm Start (c) by R. Lasseck |
Anfahrt Bärenstein mit dem Hünen im Schlepptau (c) by ABV Glocke |