Am Sonntagmorgen packe ich nach einer wirklich miesen Nacht
meinen gut 24 Jahre jüngeren Ziehsohn und Teamkameraden Christian Schröder mit
ins Auto, der die Challenge auch fahren will. Die zahlreichen Niederschläge die
Tage zuvor bei null Streckenkenntnis machen mir die Entscheidung, welche
Strecke ich fahren sollte, alles andere als leicht. Erst vor Ort und auch mit
Hilfe von Ronald Oehmes Strecken-Know-how entscheide ich mich für den langen
Kanten über 90 km. Wenn ich das Programm für die kommenden Wochen und meinen Hüftumfang
so sehe, müssen es zwangsläufig auch die 90 km werden.
„Ein Fully brauchst du nicht!“, meint Ronald am Vorabend,
also mache ich das Hardtail race-ready – freilich mit einer kleineren
Übersetzung als in Markersbach und dieses Mal mit Federgabel. Die Bremsbeläge
sind so lala, aber das Bremsen wird eh überbewertet. Christians und mein
Verbottler ist mit Uwe Möckel auch schnell gefunden, der sich ohne Murren und
Knurren bereit erklärt, uns beide zuzüglich Ronald zu verbotteln.
Um neun geht’s scharf für die knapp dreißig Bekloppten. Von
oben ist es zum Glück trocken, aber von unten schon nach den ersten Metern
klitschnass. Und überall Schlamm. Der Grip ist so mies wie das TV-Programm von
RTL2. Ohne jedwede Streckenkenntnis rolle ich erst mal bei
recht humanem Tempo mit dem Pulk mit und lasse mich von Kurve zu Kurve
überraschen, wo’s denn so hingeht. Auch ein Karnickel begleitet uns für einige
Meter, doch Möhren haben wir ausgerechnet heute nicht dabei. Ein Trail jagt den
nächsten, und auch ein stillgelegter Bahndamm wird von uns unter die Räder
genommen. Irgendwo auf den ersten Kilometern befahren wir auch eins der
wirklich kaum vorhandenen Asphaltstücke. Ron Oehme verpasst hier allerdings
einen Abzweig links in einen Trail hinein, was zur Folge hat, dass er scharf
anbremsen und einlenken muss. Ich bekomme davon so einen Schreck, dass ich zu
stark an der Vorderbremse ziehe, was mein Vorderrad mit abruptem Wegrutschen
quittiert. Da liege ich mal wieder auf der Schnauze, und natürlich wie immer auf
der linken Seite. Ich scheine da eine Unwucht in meiner Körperhorizontalen zu
haben. Doch zum Glück fahre ich ja mit Armprothese, deswegen bleibt der
Ellenbogen heil, nur der linke Oberschenkel wird neu tapeziert. Nach kurzem
Zwischenstopp kann ich das Loch zur Spitze im folgenden Schlamm-Col wieder
zudrücken.
Weiter geht’s in einem angenehmen Tempo, wobei mir nach
einer Weile auffällt, dass wir nur noch drei Leute sind. Im Verkehrsfunk
bringen die nichts über Staus, Unfälle, Geisterfahrer etc., also nehmen wir zu
dritt die nur noch gut 80 km in Angriff. Jeder geht durch die Führung, sodass
wir nicht einschlafen. Irgendwo Mitte der ersten Runde leitet mich ein
Streckenposten falsch und mitten ins Fichtendickicht. Seine oberen Gliedmaßen weisen
mir eindeutig den Weg nach rechts, doch der Streckenposten will mir damit
sagen, dass es geradeaus bergab geht, ich aber auf der rechten Seite bergab fahren
solle. Bloß kapiere ich das erst, als ich im Wald stehe und meine beiden
Begleiter geradeaus den Downhill hinab zu einer Holzbrücke in Angriff nehmen.
Okay, 180-Grad-Kehrtwende und hinterhergedüst. Im Flachstück fahre ich wieder
auf beide auf, einen steilen Berg empor, einen schönen Downhill mit Anliegern
hinab, mal kurz Waldautobahn Richtung Catstone, besagten Catstone hinauf,
wieder einen schönen Downhill hinab und Richtung Ziel noch mal einen kleinen
Anstieg hinauf. Erste Runde ready.
Flasche fassen von Uwe, und auf geht’s in Runde zwei. Wir
sind immer noch zu dritt unterwegs, doch dank der ersten Install Lap weiß ich
nun, wo die Tücken der Strecke liegen. Nach dem ersten Schlammdownhill der
zweiten Runde bin ich plötzlich alleine unterwegs. Geplant war das keineswegs,
aber bremsen tue ich deswegen nicht. Das übernimmt etwas später mein rechtes
Pedal. Das hängt nämlich nur noch lose im Gewinde herum und eiert. Ich muss
absteigen und versuche, das Teil mit der Hand wieder ins Gewinde zu drehen. No
way. Zu viel Dreck bei zu geringer Power im Finger. Ich brauche einen 8er
Innensechskant, doch so etwas hat man normalerweise nicht im Gepäck. Es dauert nicht
lange, da kommt der Zweitplatzierte zu diesem Zeitpunkt, Herr Marcel Teilich
aus Wiesbaden, an mir vorbei geschossen. Er hat leider keinen passenden
Schlüssel dabei. Nur wenig später kommt der Dritte, Jonas Hummel aus Chemnitz,
des Weges daher. Und der hat doch tatsächlich einen 8er Inbus am Start, der
Teufelskerl. Im Fahren übergibt er mir sein Minitool, mit dem ich nun krampfhaft
versuche, das Pedal zu fixieren. Es geht nicht. Also rausdrehen, Gewinde
säubern und mit roher Gewalt wieder reindrehen. Das dauert und
dauert, doch es klappt endlich. Schön fest ist es jetzt auch. Weil ich schlau
bin, überprüfe ich gleich noch das linke Pedal und ziehe es vorsichtshalber
fest. Weiter geht’s nach drei Minuten Pause. Meine beiden Kollegen sind
freilich über alle Berge, doch zum Glück sind noch rund 50 km zu fahren. Allerdings
muss ich nun den Ladedruck meines alten Turbodiesels etwas erhöhen.
Dieses Mal falle ich nicht auf die Gesten des
Streckenpostens herein, der wieder nach rechts in den Wald zeigt. Ich fahre
stur geradeaus, und zwar auf der linken Seite! Reiner Protest. The bridge over troubled water is
very rutschig, but ich nehme mich in Acht und setze meine Aufholjagd fort. Im
ersten der beiden lustigen Downhills halte ich mich nicht an die Richtgeschwindigkeit,
meinen Handgelenken allerdings missfällt das. Unten im Blackwatervalley rollt
auf einmal Torsten Mützlitz herum, der seit Samstag in Most (CZ) mit einer
holländischen Radrennlizenz unterwegs ist. Er trägt keine Startnummer und
regeneriert wie neulich in Markersbach. Kurz vor der Auffahrt zum Catstone kommen endlich meine beiden
ehemaligen Begleiter ins Blickfeld. Jippie. In der Auffahrt fahre ich auf beide
auf, deswegen heißt es ja auch Auffahrt. Das Werkzeug geht mit bestem Dank zurück an
den Absender. Zu dritt (viert) zischen wir Richtung Zieldurchfahrt. Zweite
Runde ready.
Wieder vermöckelt mich Uwe Bottle hervorragend. Ich mache es
ihm nicht leicht. Ich benötige zwei Flaschen und einen Riegel. Uns Uwe hat aber
nur zwei Hände. Trotzdem schafft er es mit kurzem Zwischensprint, alle
Utensilien dem alten Mann auf dem Bike zur Verfügung zu stellen. Mc Drive für Fortgeschrittene
bzw. „advanced verbottling“. Der Riegel wird sofort vertilgt, zumindest
versuche ich das krampfhaft.
Mütze, der fliegende Holländer, lässt in der ersten Schlammpassage
der Runde gleich mal das Gas stehen. Jonas setzt hinterher, obwohl Mütze außer
Konkurrenz fährt, ich setze Jonas hinterher, weil er innerhalb der Konkurrenz fährt, aber Marcel Teilich aus Hessen koppelt
ab, obwohl ich innerhalb der Konkurrenz fahre. Wenig später koppelt Jonas ab. Torsten und ich sind nun alleine unterwegs.
Keine Sorge, er schiebt mich nicht, er zieht mich nicht, er spendet mir
keinerlei Windschatten, was bei seiner Körpergröße auch nicht wirklich funktioniert,
wir schmusen auch nicht; er erzählt mir nur Stories vom gestrigen Rennen in
Most.
Der Schlamm-Col, wo vorhin mein Pedal den Dienst quittierte,
ist jetzt voller Biker. Das macht’s nicht einfach, auf der Ideallinie zu
bleiben und gleichzeitig den Fahrern auszuweichen. Zum Glück komme ich ohne
abzusteigen durch die Pampe hindurch. Mütze fährt weit vor mir, auf der
Drückerpassage verabschiedet er sich gen Heimat, weil er noch Marmelade einkochen
muss.
Ich bin wieder allein, den gewieften Streckenposten am
Brückendownhill jedoch, den gibt’s noch. Und wieder zeigt er nach rechts. Und
wieder fahre ich links! Reiner Protest. The bridge over troubled water still is
very rutschig, but ich mache sachte, um nicht vom Bike abzugehen. Flachstück
und Gegenanstieg sind schnell abgehakt, der Anliegerdownhill auch, den ich nun mal
lieber vorsichtiger fahre. Platten wäre doof. Im Schwarzwassertal komme ich bei
noch gutem Puls gefühlt nicht mehr allzu schnell vorwärts, zum Glück muss ich
nur noch den Catstone hinauf und kontrolliert Richtung Ziel rollen. Das klappt
solide, und ich kann mich seit einer gefühlten Ewigkeit mal wieder über einen
Gesamtsieg freuen, auch wenn nicht alles glatt lief. Jonas kommt paar Minuten später als Zweiter ins Ziel, Herr Marcel Teilich aus Hessen weitere paar Minuten später als Dritter. Dritte Runde ready.
Unsere beiden Youngsters Christian und Mike werden in der
Gesamtwertung der 60 km Vierter und Vierzehnter, sind aber mit Abstand die
Jüngsten im Feld der vorderen Platzierten. Alterspräsident Lars Strehle siegt
auf der kurzen 30-km-Distanz. Beim Rollatorrennen hätte es nur einen Sieger
gegeben, nämlich mich, so aber haben wir beide alles richtig gemacht.
Als Siegesprämie gibt es mal was ganz Neues: eine
doppelläufige 86 cm große Holzbazuka mit massivem Fundament, um den Rückstoß
abzudämpfen. Aus Tuninggründen wurde der Bazuka die Rinde abrasiert. Hammer.
Meine beiden Katzen haben das Bäumchen schon inspiziert.
Fazit: Übermenschen sind heute auf den 90 km ausnahmsweise keine
am Start gewesen, was den Normalmenschen natürlich freut. Nur ein Kettenblatt
vorne bei richtig gewählter Größe macht bei so einem Schlammrennen wirklich
Spaß, denn Kettenklemmer gibt’s nicht. Das kleine 9er Ritzel funktioniert auch im
Modder erstaunlich gut. Ich hatte stets Vortrieb. Limitierend sind nur meine körperlichen
Gebrechen, mein enormer Drang nach Kinderschokolade und natürlich mein Pedal. Ohne Jonas hätte ich wirklich alt ausgesehen, also noch älter als sowieso schon. Fürs erste Mal waren Orga und (entschärfte) Strecke trotz aller Umstände top. Weiter so!
Ergebnisse: hier.
Next „race“: FRM.
3. Runde (c) by Konzeption SG |
Siegerehrung alte Herren mit Bazuka (c) by Christian Schröder |
1 Kommentar:
Naja, Übermenschen waren vielleicht nicht am Start, aber immerhin warst du mit dabei. Und dagegen bin ich ein mickriges Lichtlein. Leider konnte ich an diesem Tag nicht in Marienberg dabei sein.
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