Erst am Morgen nach dem Weckerklingeln 5.30 Uhr
entscheide ich mich, ins Gebirge zu düsen. Mir ist heute nicht schwindelig, und
der Magen verhält sich ruhig. Dass ich gleich die 100 km aus der Kalten fahre,
grenzt zwar an Größenwahn, aber mit zunehmender Streckenlänge sollte ich mich
doch wieder einrollen, denke ich mir. Außerdem bezahle ich somit für jeden
gefahrenen Kilometer nur 40 Cent. Auf der Kurzstrecke wäre es 1 Euro pro
Kilometer. Die Anreise nach Seiffen verläuft im Economy-Modus gesittet und
unspektakulär, die Startunterlagen sind fix besorgt, die Trinkflaschen verteilt
und die Steilabfahrt noch zweimal unter die Pneus genommen. Mit dem Fully alles
entspannt und fahrbar. Als quasi Letzter rolle ich in die Startaufstellung des
Race-Blocks und stehe wie letztes Jahr ganz hinten dran. Macht aber nix,
gewinnen werde ich heute sicher nicht.
Über den neutralisierten Start die Alp de Wettin
herunter kann man streiten; ich mag das Geschleiche da hinab gar nicht, weil
man, sofern man Ambitionen hat, echt Zeit nach vorne verliert, die man in meiner
Verfassung nicht ohne Weiteres wettmachen kann, schon gar nicht auf den sich
anschließenden Asphaltgeraden. Irgendwann entzerrt sich das Feld nach dem
ersten Anstieg die Alp hinauf dann aber doch noch. Ich befinde mich hier schon
ziemlich weit hinten, bin aber inzwischen erste Dame im Feld. Das Fully rollt
solide über die ruppigen Abschnitte im ersten Streckenteil, und irgendwann
pegelt sich mein noch relativ defensives Tempo in einem brauchbaren
Watt-Bereich ein. Zumindest denke ich mir das so. Meinen Watt-Messer habe ich
im Kopf. Das einzige nennenswerte Problem in Runde 1 habe ich ausgerechnet in
der Steilabfahrt. Jüngling Rico Leistner verliert vor mir ein wenig die
Ideallinie, ich komme selbst aus dem Rhythmus und klicke unverhofft und spontan
aus. Der Sturz bleibt mir erspart, aber ehe ich wieder vernünftig auf dem Hobel
sitze, ist Winter. Steffi, die MdFK, verbottelt mich im
Seiffener Grund, was den Start in den zweiten Rundenabschnitt einläutet. Die
zweite technische Abfahrt für „Nicht-Chickens“ wurde deutlich entschärft,
sodass man ohne Not da hindurch kommt. Die Alp empor verbottelt mich Laura
Hoffmüllers Schwester, und ich staune nicht schlecht, als ich Richtung Schule
abbiege und mir die Spitze der 100-km-Schleife gegenüber entgegen kommt. Das
sind höchstens fünf Minuten. Rollt. Auf geht’s in Runde 2.
Na ja, beinahe. Irgendwie verliere ich die
Orientierung, was ganz ohne Zweifel meinem fortgeschrittenen Alter geschuldet ist. Ich bin
nämlich der festen Überzeugung, dass die Strecke exakt durch einen
Streckenposten hindurch, durch das Absperrband, quer über das
Massenstartgelände, hinter einem Begrenzungszaun mit vorgelagertem
Wiesensteilstück verläuft, wo man paar Meter unterhalb des Gel-Drops wieder
rauskommt. Lieber Streckenposten, sorry für das Absperrband, und geiler
Hechtsprung! Durch diese Aktion büße ich zum Glück nur drei Plätze ein. Die
Strafe folgt auf dem Fuße. Denn ich verliere Leistung. Zumindest denke ich mir
das so. Meinen Watt-Messer habe ich immer noch im Kopf. Der Puls geht langsam,
aber sicher nach unten, und ich habe Mühe, mein Grüppchen zu halten. Für einen
Einbruch ist es aber doch noch viel zu früh? Grübel, denk', fluch', kotz' … nüscht
hilft hier. Da kommt auch schon Lokomotive Matej Meyer from behind und wagt es,
mich zu überholen und mich aus den Top Ten zu verdrängen. Soll er doch, wird
schon sehen, was er davon hat. Kaum ist er vorbei, entweicht ihm ein lauter
Schrei. Hui, was’n da los? Brunftzeit ist doch erst im Herbst? Sieht mir schwer nach Tourette-Syndrom aus. Nach dem
Rennen frage ich ihn, was er für Medikamente nimmt, die solche Nebenwirkungen
haben. Er meint, er war euphorisiert und musste einfach mal laut schreien. Tja,
die einen schreien beim ..., die anderen beim Radeln. Mein Puls schwingt
sich inzwischen im soliden GA2-Bereich ein. Super Sache bei noch rund fünfzig
zu fahrenden Kilometern. Von hinten rollen mich noch zwei Heizer auf und
verbannen mich auf Rang 13. Dafür funktioniert die Steilabfahrt dieses Mal ohne
Probleme. Geschickt greife ich die Bottle von MdFK Steffi. Bergauf läuft nicht
mehr allzu viel, bergab kann ich mich nicht beklagen, ist es doch die einzige
Möglichkeit, etwas Boden gutzumachen. Runde 2 beende ich schon ziemlich
angezählt auf besagtem Rang 13.
Ich hoffe weiterhin auf meinen ollen Diesel, doch der muss heute mit zwei Zylindern weniger auskommen. Leider habe ich durch eigene Blödheit noch zwei
Gels eingebüßt, die mir jetzt auf die Sprünge helfen könnten. Es geht schleppend, die Rennhärte bzw.
Kraft fehlen spürbar, und der Puls driftet teilweise in den GA1-Bereich ab. Nun
ist sie da, die Energiekrise. Selten habe ich mich so auf meine letzte Flasche
gefreut wie jetzt. Ein Spezialzünderli. Wer Zurück in die Zukunft III
kennt, weiß, wovon ich spreche. Da haut Doc Emmett Brown immerhin drei
Zünderlis in den Ofen der Dampflok, um sie auf 88 Meilen pro Stunde zu
beschleunigen. Genau das macht mein Zünderli auch. Nach überstandener
Steilabfahrt ist es soweit. Ich greife die Flasche. Ich bin gerettet. Wehe den
Leuten vor mir. Habt Acht, ich nahe. Hier kommt die Flut. Das ist so
schön. Da nehme ich doch gleich mal einen Schluck ... Bloß warum schmeckt das
Zeug nach Kirsche? Wieso bekomme ich das Gel nicht gelöst? Weswegen so viel
Tesa-Klebeband? Ein Blick auf die Bottle verschafft Klarheit. Da steht Laura
drauf. Drin ist Cherry-Vita-Cola aus dem Aldi. Verdammter Mist. Ich habe
die falsche Flasche gegriffen. Das bedeutet nix Gutes. Keine 88 MpH, keine
Zeitreise 45 Minuten in die Zukunft auf Platz 1. Da zündet einfach gar nix. Zum
Glück geht’s nur noch um die Goldene Ananas bzw. Silberne Grapefruit bzw.
Bronzene Maracuja, also drauf gewürschtelt und das Beste draus machen. Und
immer schön vor der ersten Frau bleiben. Gut fürs Ego. Kurz vor der Halde
überholt mich netterweise noch Herr Olaf Nützsche, sodass ich nun Vierzehnter
bin. Ein paar Anstiege später komme ich ziemlich breit ins Ziel und bin
bereinigte 20 min langsamer als 2015. Grandiose Performance. Laura, die auch
nach langer Zwangspause beachtliche Vierte bei den Damen wird, berichtet
anschließend, dass bei ihr nach der Verbottlung durch die Schwiegermama noch
mal richtig die Post abging. Kein Kommentar.
Die Siegerehrung der 100 km zieht sich etwas hin, weil
die Langstrecke erst am Ende prämiert wird. Da ich nun bei den ganz alten
Herren starte, werde ich quasi zum Schluss aufgerufen, und erschiene ich nicht,
würde ich fürs folgende Jahr disqualifiziert werden. Das hat jeder unterschreiben
müssen bei der Anmeldung. Da bleibe ich mal lieber da. Ich fasse trotz
unterirdischer Leistung noch einen Trostpreis ab. Anschließend wird sich brav
von der Familie Stark inklusive Sebastian „FK bzw. X-Man 2.0“ Stark himself
verabschiedet und die Heimfahrt vorbereitet. Vor deren Antritt jedoch rumort es
mal wieder verdächtig im Bauch – da scheint sich was anzubahnen. Völlig
auskuriert bin ich vermutlich doch noch nicht. Durch das Auflegen von
Kuschelmusik bei vorsichtiger Fahrweise besonders in Kurven versuche ich,
meinen Magen zu beruhigen. Eine klare Empfehlung dabei ist die Band Pink Floyd. Die wirklich alten Menschen
kennen diese Gruppe vielleicht noch. Hast du Magen-Darm, hörst du Pink Floyd.
Danke, Pink, danke, Floyd, ihr habt mich gerettet!
Okay, Seiffen kam etwas zu früh nach der langen Pause.
Warum es dann auch noch die Langstrecke sein muss, sind meiner Beklopptheit
und meinem Spardrang zuzuschreiben. Ich denke, noch zwei bis drei Rennen, dann
geht’s auch wieder brauchbarer vorwärts.
So, nun fix richtig gesund werden, und dann sieht man sich
vielleicht bei der Vier-Hübel-Tour. Bis die Tage!
Ergebnisse: hier.
Alp de Wettin (C) by Alex Freund |
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