Als ich mich vor noch nicht allzu langer Zeit des Morgens immer zum Rennen oder sonst wohin aufmachte, ging ich ins Bad, nahm meine Utensilien, aß Frühstück und stiefelte los. Heute ist das anders. Heute hast du nicht mehr deine teuren After Shaves oder das EdT direkt im Blickfeld stehen, sondern Hipp Pflegeöl Baby Sanft, Emser Nasendusche, Putzi, die Zahncreme für Kinder, oder Babydream Brustwarzensalbe. Spätestens jetzt wird dir vor Augen geführt, dass du inzwischen zu einer Familie mit italienischen Größenverhältnissen gehörst. Und die hat auch noch Zuwachs bekommen. Am 05.09. kommt der kleine Fritz zur Welt, intern geführt unter dem technischen Namen Dieter. Max läuft da seit einem Jahr unter Detlef.
Fritz' Timing ist grottig. Nicht nur, dass er vier Wochen zu früh kommt, fällt seine Geburt genau auf den Tag, wo ich das Rennen in Frauenstein fahren will und schon angemeldet bin. Weil Max, der Detlef, außerdem mal wieder einen üblen Keim aus der Kita einschleppt, liegen meine rundliche Yvonne und ich in der Nacht zum 05.09. mit einem üblen Norovirus im Bett. Ich weiß jetzt ganz genau, wie ein Ideal-Standard-WC von unten aussieht. Weil Flitzekacke Wehen-auslösend ist, passiert natürlich genau das. Der Rest ist schnell erzählt. SMH anrufen, weil ich darm- und magentechnisch indisponiert bin, sie ab ins KH und mal eben fix Fritz, den Dieter, entbinden, während ich mich an unser Ideal-Standard-WC klammere. Anschließend gibt's für Fritzchen und sie noch zehn Tage Zwangsaufenthalt im KH, sodass ich mit Keimschleuder Max allein daheim verbringen darf. Männerwirtschaft. Mit Training usw. ist da natürlich nicht viel.
Den GBM muss ich mal wieder auslassen – kein Fully und keine Motivation, 45 EUR Anmeldegebühr zu leisten. Und falls was passiert, ist niemand mehr da, der sich um Max kümmern kann. Also geht's eine Woche später bei nasskaltem Wetter nach Eierstock zum Schotterpistengemetzel. Der Hals schmerzt schon wieder, die Nase läuft auch. Es klingt abgedroschen, aber Max hat erneut einen Kita-Keim eingeschleppt. Ohne Rücksicht auf den Keim knallt 9.30 Uhr die Pistole, keine vier Sekunden später schon der erste Massensturz. Es ist glatt auf der Laufbahn des Jahn-Stadions. Am ersten Anstieg den Dönitzgrundweg hinauf fahren die Herren Leidenberger und Lauterbach vorne ca. 100 m raus. Mit Fahrer Lauterbach focht ich schon vor vielen Jahren das eine oder andere Gefecht aus. Eine Tretmühle ist er noch immer. Zwei Gänge dicker als alle anderen. Während wir die Tretmühle wieder einfangen, kurvt Fahrer Leidenberger unbeirrt immer ca. 100 m vor uns umher. Teamkollege Mike Baumann reicht es, und er fährt am Anstieg in Carlsfeld das Loch nach vorne zu. Er hat es auf die Bergwertung abgesehen. Die beiden setzen sich etwas ab. Unsere Gruppe arbeitet gut zusammen, sodass wir nicht zu viele Meter nach vorn verlieren. Ich selbst achte drauf, nicht zu dolle anzulatschen, damit ich das Loch zu Mike nicht zufahre. Das übernimmt dann Fahrer Rödel. Am Fuße des Col de Auers sind wir quasi angedockt, aber Mike riecht den Braten und gast erneut an, um sich seinen Fresskorb zu sichern. Fahrer Leidenberger holen wir hier ein.
Bergab passiert nichts Außergewöhnliches, außer dass meine Schaltung spinnt. Schon vorm Start konnte ich nicht aufs größte Ritzel schalten, jetzt hapert's auch bei den kleinen. Im Flachstück heilt sie sich zunächst erst mal selbst zu meinem Glück. Den Mike holen wir übrigens auch ein. Zu siebt erklimmen wir den Col de Auers zum zweiten Mal für heute, runterzu passiert bis auf meine Schaltinkonsistenzen erst mal auch nix. Das Bergabstück des Heinrichsbacherwegs quittiert recht weit unten mein labiles Getriebe dann mit einem Kettenabwurf. Bei einem Kettenblatt vorne musst du selbst Hand anlegen, damit die wieder draufflutscht. Ärgerlich, dass die Gruppe nun weg ist. Ich benötige ca. drei Minuten, um heranzufahren bis zur Talsperre Sosa. Positiver Nebeneffekt: Meine Beine drehen durch den kurzen Leistungs-Peak spürbar besser.
Das Flachstück zum Blauenthaler Wasserfall fahre ich wegen meiner großen Mühle von vorn, den Wasserfall hinauf gleich auch. Zwischendurch fülle ich mir den Wanst mit Affenkoteletts auf, um im Straßenflachstück bei Wolfsgrün nicht zu verhungern. Denn da fahre ich schon wieder von vorne. Beim Rundenabzweig in Runde drei steht wie üblich mein fein hergerichteter Verbottlungstisch. Und die dunkelhaarige Freundin von Mike direkt daneben. Da ist ein wenig Chaos vorprogrammiert. Der Mike schneidet mich rechts, um zu seiner dunkelhaarigen Freundin zu gelangen. Ich muss früher in die Eisen als geplant, um ein Berühren zu vermeiden. Irgendwann komme ich heile am Tisch an und hole Nachschub. Leider ist die Gruppe dadurch etwas enteilt, und ich muss das Loch erneut zudrücken. Mike stellt den Anschluss kurz vor mir her und entschuldigt sich sogar für sein Missgeschick. Wieder zu siebt kreuzen wir die Talsperre Eierstock.
Der folgende Bernhardtweg ist ein nächster Scharfrichter im Roadbook. Mike und ein Fahrer in Gelb setzen sich etwas ab, die anderen fünf reagieren nicht. Ich darf und will nicht und fahre nur an die Spitze der fünf Mann. Im obigen Flachstück übernimmt Fahrer Leidenberger das Zepter und versucht, das Loch nach vorne zuzufahren. Heran kommen wir aber nicht. Erst im Waldstück an einer weiteren Affenkotelettverpflegungsstelle stellen wir zumindest den gelben Fahrer, der seinen Freilauf zerlatscht hat vor schierer Kraft. Bei mir haut's so langsam auch die Sicherungen raus, als ich völlig falsch abbiege, obwohl ich hier schon zwanzig Mal durchgefahren bin. Zurück auf der Strecke muss ich meiner Gruppe zum dritten Mal für heute hinterherfahren. Nach mehreren Minuten ist der Anschluss wieder hergestellt, allerdings hat das ordentlich Körner gekostet. Mike ist nach wie vor allein auf weiter Flur. Gut für mich, ich muss keine Nachführarbeit leisten und kann mich etwas erholen. Fahrer Knauf geht derweil an einer kurzen Rampe nach hinten verloren, womit dem aufmerksamen Leser klar ist, dass wir nur noch vier Leute sind, die den Mike jagen. Am Col de Wauwau holt unser Quartett den Mike ein, nicht zuletzt, weil die Fahrer Leidenberger und Büschel noch guten Dampf in den Keulen haben. Zu fünft setzen wir die Fahrt gen Ziel fort. Bis zum Schlussanstieg geschieht nicht mehr viel außer paar kurzer Attacken des einen oder anderen Protagonisten, die jedoch alle pariert werden. Den letzten Stich hinauf Richtung Ziel zieht Fahrer Leidenberger etwas an, was Fahrer Rödel in die Bredouille bringt. Er muss reißen lassen. Ab der Pferdekoppel wird das Rennen eröffnet. Ich gucke mir das von Position vier aus an. Fahrer Leidenberger hat viele Fans an der Strecke, er wird gewaltig angefeuert und gibt noch mal Gas, bis die Blaskappelle kommt. Dort steigt Fahrer Büschel aufs Gas, und der Mike zieht mit. Blöderweise ist es dort sehr eng, sodass man auf die Fairness seiner Mitstreiter angewiesen ist, sollte man überholen wollen. Kevin Büschel vergrößert den Abstand zu Mike zusehends, ich selbst habe noch gute Beine und bitte Mike, an dessen Heck ich klemme, mal beiseite zu fahren, dass ich unfallfrei vorbei komme. Mike tut das ohne Widerstand. Jetzt kann ich vernünftig anlatschen und das ca. 20 m große Loch zu Kevin, der fast schon auf der Kuppe ist, zufahren und mit Überschuss an ihm vorbeigehen. Die Stadioneinfahrt ist wegen der Fahrer der kürzeren Distanzen "gut besucht", aber es wird fair Platz gemacht. Die letzten 100 m noch mal Latte, und dann darf sich der alte Mann mit fortgeschrittener Bejahrtheit absolut unerwartet über einen Gesamtsieg auf der Langdistanz freuen. Mike sichert sich im Sprint gegen Fahrer Leidenberger knapp Rang drei.
Die Zeit bis zur Siegerehrung zieht sich, wie in Eierstock üblich, wieder sehr lange hin, sodass erst 16.30 Uhr zum Aufbruch mit dem bajuwarischen Kfz geblasen werden kann – interne technische Bezeichnung: G31. Denn daheim erwarten mich neben der nicht mehr kugelförmigen Yvonne schon Keimherd Max, Frühgeburt Fritz und ein nervtötendes 11-jähriges Pubertier namens Maya, dessen Passion es momentan ist, die Körbchengröße von Fünftklässlerinnen mit der von Achtklässlerinnen zu vergleichen und sich zu amüsieren, dass eben diese Körbchengröße nicht unbedingt proportional zur Klassenstufe sein muss.
Die jetzt anstehende rennfreie Zeit werde ich nutzen, um mich vom Max'schen Keim, der mir nach Eierstock eine Woche krank mit Schein einbrachte, zu erholen. Und um mich an die Haarfarbe von Mikes neuer Freundin zu gewöhnen, um natürlich möglichst alle Keime aufzusaugen, die Max, der Detlef, aus der Kita mitbringt, damit ich wenigstens im nächsten Jahr dagegen resistent bin, wenn's dieses Jahr schon nicht funktioniert hat, und um mir einen Integralhelm zu besorgen, den ich aufsetze, wenn die redselige Maya anfängt, mir die Ohren abzukauen.
Ergebnisse: hier:
Siegerehrung 100 km v. l. n. r.: Kevin Büschel, Güldi, Mike Baumann (c) by DTM Eibenstock |