Ohne Zwischenfälle kommen wir – Sebastian
„FK“ Stark, John-Oliver Stahn und ich, der Güldi, – in Riva bei mäßigem Regen und
kalten Temperaturen an. Olivers Zimmer ist wegen eines kurzfristig
eingetretenen Wasserrohrbruchs nicht belegbar, sodass unser Zimmer zum Dreimannzimmer
umfunktioniert wird, dafür genießen wir vom Holzbalkon aus den Blick auf den nördlichen
Lago. Es ist alles sehr eng und sicher ausreichend für den
Durchschnitts-Italiener mit 1,35 m Größe, aber wenigstens sind die Betten
solide und die Dusche schön warm.
Auf den Besuch oder die Teilnahme an der
Veranstaltung „K(n)ack den Kurschat“ verzichten wir vorsorglich, holen die Startunterlagen
für die Extrema, die man seit diesem Jahr nur noch mit UCI- oder Tageslizenz mit
Arztattest fahren darf, und verdrücken unsere Pasta, die von einer Horde
lustiger älterer Herren fließbandartig verteilt wird. Einem der Opas zeige ich
meinen „dünnen“ Bauch, woraufhin er ihn betatscht und festlegt, dass ich
Nachschlag zu bekommen habe, und zwar pronto. Mille grazie!
BIKE-Urgestein Ulrich Stanciu hält
Vorträge, denen wir keine Beachtung schenken, und ich vermute, soeben den
leibhaftigen Peter Schlickenrieder entdeckt zu haben. Wer weiß.
Zurück in der Herberge checken wir
unsere Räder, gehen duschen und schlafen. Meinen unter der Decke leuchtenden
iPod Nano hält FK für einen Erotik-Leuchtstab, was FK und mich später zu
flachen Witzen animiert. FK beansprucht 70 % des besucherritzenfreien
Doppelbetts, ich beanspruche 70 % der ungeteilten Doppeldecke. Dass es im
wahrsten Sinne zu Reibereien kommt, dürfte klar sein. Um meinen Bettenteil rein
interessehalber auszumessen, berühre ich aus Versehen mit der Hand FKs Hinterteil, das illegalerweise in meinen Bereich hineinragt. FK is not very amused, but er
lässt mich am Leben. Des Nachts kommt FK immer mehr auf meine Seite, sodass ich
mich nicht mehr drehen und wenden kann. Er hält mich sicher für seine Laura. Ich
blockiere ihn mit meinem Po und verteidige meinen Bereich hartnäckig, sodass
wir Teile der Nacht Arsch an Arsch verbringen. Schlafen tun wir alle drei dennoch
gut, bis 5.30 Uhr der Handywecker klingelt. Nach dem kurzen Frühstück 6 Uhr
geht’s schon in Richtung Riva zur Startvorbereitung. Noch nicht viel los, weil
die Blöcke dieses Mal mit größerer Zeitversetzung starten: unsere
UCI-Lizenz-Blöcke der Extrema von 7.30 bis 7.35 Uhr, der Rest zwanzig Minuten später.
Ich starte aus Block B um 7.35 Uhr,
komme gut weg, und es geht gemütlich zum ersten Col mit ca. 900 Hm. Zu meinem
Erstaunen fahre ich am Berg dem gesamten Block B auf und davon, nur Matthias
Bettinger ist etwas schneller als ich und
kurbelt mir langsam weg. Alleine, später zu viert, rolle ich mit meiner
internationalen Gruppe (ein Österreicher, ein Italiener, ein Tscheche) in den
ersten ruppigen, schlammigen Downhill. Der am Berg starke Ösi parkt bergab dermaßen,
dass er den Anschluss verliert, die beiden anderen fahren kontrollierte
Offensive, was sehr vernünftig ist in Anbetracht der Bodenverhältnisse. Irgendwann
sehe ich Baum Lutzgärtel im Wald stehen, kurz später kommt er von hinten wieder
heran und fährt recht spektakulär den Rest des Berges hinunter und unterhält mich
mit Drifts, Wheelies usw. Viel schneller ist er aber nicht wirklich. Da kommt
auch schon sein Schmusi Daniela Storch ins Blickfeld, die ich freilich höflich
grüße. Unmittelbar darauf schalte ich bergab in den elften Gang. Blöd, wenn man nur
zehn davon hat. Also runter vom Bock, um die zwischen dem kleinsten Ritzel und
dem Schnellspanner eingeklemmte Kette rabiat zu entfitzen. Rauf auf den Hobel
und meiner enteilten Gruppe im Flachstück hinterherhetzen. Ich drücke das Loch in
der Ebene wieder zu. Nach einigen Schiebe- und Laufpassagen und leider auch
einigen Staus zeigt mein Navi den zweiten harten Anstieg an. Hier leiere ich
zügig hinauf, während von hinten der Führende der Ronda Grande, Christian
Schneidawind, aufschließt. Die Strecke der Grande verläuft anders, schneidet
aber ab und an unsere Extrema. Ich hänge mich kurz mit ran am Steilstück, weil
sein Tempo wider Erwarten noch halbwegs fahrbar ist, doch kurz drauf siegt die
Vernunft, und ich nehme etwas raus. Eine Minute später kommen Christian Kreuchler
und Andreas Kleiber, dann Michael Schuchardt und Andreas Huber. Den zweiten, ebenfalls
wieder recht heiklen Downhill überlebe ich abgesehen von schmerzenden Unterarmen
und Handgelenken vom Bremsen schadlos. Hier hänge ich mich in die Gruppe von
Schuchi und Co. mit hinein, bis Letztere den Abzweig in die Ronda Grande und
ich den in die Extrema nehme. Zu meiner Verwunderung kommt mir hier Christian
Schneidawind entgegen, der falsch abgebogen ist. Nicht der Einzige heute …
Irgendwann formiert sich eine neue
Gruppe, in der neben dem bekannten Italiener und dem Tschechen auch zwei
Holländer vertreten sind. Auf meinem Navi türmt sich nun der härteste Anstieg
auf, nach oben schön progressiv, also immer steiler werdend. Das Ding zieht
sich enorm, aber der Italiener verabschiedet sich nach vorn. Nach ca. zehn
Minuten habe ich immer noch beide Holländer und den Tschechen im Schlepptau,
als es böse steil wird. Nun kopple ich die drei Leute endlich ab, hole den
Italiener und noch zwei andere Leute ein und komme mit dem Italiener am Auspuff
klebend oben in 1500 m Höhe auf dem Pass an, wo noch Schneereste herumliegen.
Den direkt folgenden ruppigen Downhill nutzen wir, um uns gänzlich abzusetzen.
Die sich anschließenden Wurzeltrails bekomme ich im Tunnelblick nicht wirklich
mit, doch der Italiener hält mich auf Trab durch sein Herumgeschreie, dass uns
die langsameren Fahrer doch bitte Platz machen mögen; ständig hallt es „Occhio!“,
was „Achtung!“ bedeutet. Manchmal hallt es auch „Scusi!“, wenn er jemanden
umgerempelt hat.
Ich benötige jetzt dringend eine
Verpflegung, und kurz vor Feierabend kommt sie. Hier muss ich stoppen, um meine
Flasche und meinen Magen zu füllen. Gestärkt geht es weiter im
Zick-Zack-Profil, wo ein giftiger Anstieg den nächsten jagt. Der teilweise
tiefe Boden und die Wiesendurchfahrten ziehen mächtig Körner, und schon wieder
neigt sich meine Bottle dem Ende. Cheise, wenn man keinen eigenen Support hat. Mich rettet gerade so die nächste
Verpflegung, wo ich Cola, Isostar aus einer Gießkanne und Gels zu mir nehme.
Der Italiener ist weg, weil er vermutlich seine Betreuer irgendwo stehen hat
und nicht wirklich nachtankt.
Die holprigen Folgekilometer verlaufen
zufriedenstellend mit vernünftigem, jedoch nachlassendem Druck, bis der letzte
schwere Anstieg kommt. Letztes Jahr lief ich hier zu Fuß hoch und erbettelte
einen Torx-Schlüssel, weil mein Getriebe im A… war, heute darf ich ihn fahren. Danke. Die letzte Verpflegungsstelle mitten im Anstieg bietet zwar Gels, aber auf die
Schnelle keine vollen Trinkflaschen. Da ich einer Gruppe immer näher komme,
trinke ich nur einen Pappbecher Cola und setze der Horde nach. Endlich oben auf
dem Pass angekommen, hole ich den ersten Nachzügler ein – wieder ein Ösi. Hier
scheint’s ein Nest zu geben. Der Nachteil der Aufholjagd: Meine Flasche ist
leer, und eine Verpflegung kommt nicht mehr. Zusammen gehen wir in den
Downhill, er lässt mich aber passieren, weil ich schneller bin, doch auf einmal
ist die Strecke weg. Shit, falsch abgezweigt. Gott sei Dank kennt sich der Ösi besser
aus als ich, und wir finden über einen Umweg vorbei an irgendeinem
Privatgrundstück mit Gartenlaube und Zaun zurück auf die Strecke. Weiter geht’s
in den nächsten, wirklich allerheftigsten Downhill der Strecke – und das nach
fünf Stunden Fahrzeit. Hier steht schon ein Fahrer herum, weil er über den
Lenker abgestiegen ist. Ich holpere mit Ach und Krach an ihm vorbei und fahre,
was zu fahren geht. Doch irgendwann kann ich nicht mehr bremsen, weil mir die
Gelenke einfach zu wehtun und ich keine Kraft mehr in den Händen habe. Dann
verhakt sich meine Kette im Tretlager, ich kann nicht mehr treten und halte
mich mit Mühe und Not an einem Baum fest, bevor ich links den Abhang
runterkullere, steige ab und schiebe die bösen Passagen mal lieber runter. Uns
Ösi tut es mir gleich. In meinem Alter wird man bodenständig, außerdem muss ich
eine Katze versorgen. Die Holländer driften wieder an uns vorbei und scheinen
auch heil runtergekommen zu sein. Vermutlich fahren die 200er Bremsscheiben. Nachdem
ich die Kette entfitzt habe, steige ich wieder aufs Bike und holpere weiter – bis
sich die Kette erneut im Tretlager verheddert. Güldi muss mal ein ernsthaftes
Wörtchen mit seinem Chefmechaniker wechseln, den er namentlich hier nicht
erwähnt. Nur so viel sei verraten: Er ist kleinwüchsig, etwas pummelig und trug
vor kurzem noch einen Bart. Ich steige genervt ab und entfitze die Kette schon
wieder, laufe ein Stück und treffe einen anderen – natürlich – Ösi, der dort
eine Panne hat. Er bittet mich höflich auf Österreichisch um eine CO2-Kartusche,
die ich ihm versuche zu geben. Blöderweise hat sich die Patrone dermaßen in
meinem Trikot verheddert, dass ich sie nicht herausbekomme. Ösi greift mir in
die Trikottasche und befreit sie nach einer gefühlten Ewigkeit. Diese Minute
Standzeit kostet mich unwissend eine Podiumsplatzierung in meiner AK, wie sich
am Folgetag rausstellt. Sehr ärgerlich, aber ich habe meine gute Tat für heute
vollbracht. Der andere Ösi und einer der Holländer sind natürlich enteilt. Im
letzten nun wieder fahrbaren Downhill trete ich noch mal richtig drauf und hole
den einen Holländer wieder ein, setze mich ab und donnere weiter bergab –
geradeaus in einen Komposthaufen in irgendeinem Vorgarten mitten in der Pampa.
Die Strecke ist mal wieder nicht ausgeschildert hier, bzw. man kann sie bei dem
Tempo nicht wirklich orten. Ich entferne mein Vorderrad aus dem Haufen, drehe
um, suche die kaum sichtbare Strecke und gase weiter. Der Holländer kommt zum
Glück nicht wieder vorbei. Die Anlieger in den Serpentinen gegen Ende des
Berges nehme ich dankbar mit und hole den Ösi beinahe wieder ein, als die
Strecken der Grande und Extrema zusammenlaufen. Prompt kommt es fast zum Crash
zwischen mir und einem Italiener von der Grande. Puh, Schwein gehabt. Der Ösi
merkt, dass ich mit dem Italiener und einem weiteren Grande-Fahrer näher komme,
und gibt in der Ebene Stoff. Ich drücke uns aber ran, und bis ins Ziel kreiseln
wir „belgisch“. Kurz vorm Ziel wird der Sprint eröffnet, ist aber gleich schon
wieder Geschichte, weil der Ösi sich in der Zielgerade vertut und falsch
abbiegt Richtung Arco. Ich biege richtig ab und komme nach rund 5:32 Stunden
ins Ziel.
Die Ergebnisse dürften anzufechten sein, da eine ganze Menge von Langstreckenfahrern die kürzere Grande nehmen
aus Defekt- oder Erschöpfungsgründen, aber dennoch gewertet und vor uns
platziert werden. Meine eigene Zeit ist im Vergleich zu meinem Navi fragwürdig,
und ich vermute, man hat mir die Zeit des Blocks A2 aufgebrummt, der ja vier Minuten früher startete als mein B-Block.
Oliver muss das Rennen leider wegen
eines irreparablen Plattens aufgeben, wird aber dennoch in der Extrema kurz
hinter mir gewertet ;-), und Bettnachbar FK verfährt sich auch zweimal und
erleidet kurz vor Ende des letzten Downhills einen bösen Reifenschaden, der ihn
zum Schlauchwechsel zwingt. FK kommt laut Liste auf Gesamtplatz 33 an, ich auf
57, wobei es sicher noch einige Plätze weiter vorn sein müssten. Unter den Top-Leuten ist Urs Huber der
Einzige, der sich nicht verfährt und somit zum Sieg kommt. Ansonsten hätten Kulhavy
oder Hynek das Ding gerissen.
Für ein offizielles UCI-Rennen, das
besetzt ist wie eine WM, sind sowohl die Streckenbeschilderung als auch die
fragwürdigen Ergebnisse nicht standesgemäß, eher sogar peinlich. Für eine
Startgebühr inkl. Nachmeldung von insgesamt 63 EUR, die ich zum Glück nicht
bezahlen musste, darf mehr erwartet werden. Auch der Inhalt des Startbeutels
ist ein Witz im Vergleich zu so manchem Dorf-Rennen mitten im Nirgendwo, wo man
vielleicht 10 EUR löhnt.
Gleich nach dem Zieleinlauf und kurzer
Stärkung geht’s Räder abwischen, denn der Kärcher kostet mal eben 10 EUR, und
zum Duschen. Diese Duschen zu finden ist eine echte Herausforderung. Meinen
Gürtel kann ich jetzt um ein Loch enger schnallen, obwohl ich rekordverdächtige
neun Gels, vier Bananen und einen Energieriegel aß, und italienische WCs sind,
sollte man mal müssen, nach der Extrema nicht benutzbar: Donnerbalken und eine oberschenkelverkrampfende
Kampfhocke sind ganz schlecht fürs Regenerieren, zumindest, wenn man größer als
1,35 m ist. Ich muss zum Glück nicht. Heimwärts im Tuborg-Transporter zieht FK
voll durch, es gibt nur eine Pinkelpause auf knapp 800 km, eine Ermahnung wegen zu langsamen
Essens (Güldi hat nur kleine Kauwerkzeuge) und obendrein viel Spaß mit einem
untermotorisierten Mitsubishi-Kleinwagen und einem etwas übermotorisierten
damengelenkten Opel Insigna. Schließlich beschließen wir, das Haldenrennen in
Löbichau am Sonntag der Vernunft halber nicht zu fahren, und kommen
wohlbehalten in No Fountain an, daheim bin ich gegen 23 Uhr.
Wie wir unsere
Ankündigung mit Löbichau eingehalten haben, steht im nächsten kleinen
Rennbericht.
Tanti saluti di Güldi!
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