Zusammen mit Torsten „Mütze“ Mützlitz und unseren beiden
Fullys geht’s im Kombi tags zuvor nach Jablonne, um die Startunterlagen
einzuheimsen, und nach Oybin in die luxuriöse Unterkunft. Dort treffen wir
wenig später auch schon Familie Stark-Hoffmüller mit ihren beiden Nachzüglern
Paul und Emil. Rein abkürzungstechnisch hieße das FK, LH, FKM 1.0 und FKM 2.0.
Da Mütze und beide FK-Minis kaum Platz beanspruchen, ist die Bude mit sechs
Mann zwar zweifach überbucht, aber bewegen kann man sich trotzdem noch. Nach
den Spaghetti, dem Fußball und dem perfekten Windelwechsel bei den FKMs durch Laura geht’s
für Mütze und mich auf die Doppelschlafcouch, für die gesamte Familie
Stark-Hoffmüller ins Ehebett.
Um 5.45 Uhr kräht der elektronische Hahn, geschlafen habe ich ganz gut, weil
Mütze nur mäßig schnarcht, und FK meint, er habe geträumt, dass ihm der Lenker
in einer Abfahrt bricht und er schwer stürzt. Hmm. Frühstück und Notdurft sind fix
verrichtet, sodass wir 7.30 Uhr der Unterkunft mit Kind und Kegel adieu sagen können. Schnell noch die
Blaumeise aus meinem Kühlergrill entfernen, die ich mir irgendwo bei Bautzen eingefangen habe,
und ab geht’s nach Jablonne. Um acht schlagen wir auf, halb neun ist der Start für
die 100 km in der Ortsmitte. Zeitlich sehr knapp alles. Zum Glück habe ich mir
gestern Abend bereits die Startnummer ans Trikot geheftet, weil ich mit den
Sicherheitsnadeln auf Kriegsfuß stehe. Nun aber geht das ganze Chaos erst
los …
Beim Einordnen in den MEL-Startblock bemerkt die
Renn-Kommissarin, dass meine Lenkernummer nicht mit meiner Rückennummer übereinstimmt.
Die Dame hat Recht. Super Sache, auf dem Rücken habe ich meine eingebuchte 28,
am Lenker Mützes 35. Und keiner hat’s gemerkt. Mütze hat am Lenker meine 28 und
auf dem Rücken gar nichts, und das nicht, weil sein Trikot zu klein ist für die
Startnummer, sondern weil seine Rückennummer 35 noch in seinem Startbeutel ihr
Dasein fristet. Da hat des Nachts die Startertütenfee Mützes und meinen Beutel
ausgetauscht in der Herberge, die Böse. Am Start fängt ein Rennkommissar an, mir die korrekte
28 vom Rücken abzupopeln und mir seine Kamera gegen die Birne zu schlagen. Ich
übernehme das jetzt mal lieber selbst, geht einfach schneller. Die 28 macht
sich Mütze ans Trikot, ich mir die 35. Woher Mütze die 35 zaubert, ist mir bis
jetzt unklar. Die liegt doch eigentlich im Kfz? Keine Ahnung. Pünktlich 30 s
vor dem Start sind Mütze und ich fertig, nur die Startnummern sind vertauscht.
Mütze ist Güldi. Güldi ist Mütze. Und schon geht’s zügig los.
Wie immer sind die Profis, Halbprofis und Viertelprofis schnell
außer Sichtweite, ich beginne recht defensiv, weil ich die Strecke kenne und
weil ich meinen Pulsgurt daheim vergessen und keinen Wattmesser am MTB habe.
Ich fahre nach Gefühl. Irgendwann befinde ich mich jedoch in einer Fünf-Mann-Gruppe,
die leider nicht so gut läuft. Steffen Langer ist auch dabei, gibt aber
beizeiten im ersten ansteigenden Waldstück Gas. Wir lassen ihn fahren. Dann
kommt so ein oller Schlammanstieg, wo ich aus unserer Gruppe der Einzige bin,
der den komplett durchhobelt auf dem Bike, und meiner Gruppe davonfahre. Ein
Fully hat auch Traktion bergauf. Das Loch zu Steffen wird etwas kleiner, nur
stehe ich einige Zeit später ganz allein im Wald. Irgendwo habe ich einen Abzweig
verpasst. Ich drehe eine Runde, finde aber den Weg nicht mehr, verflixt.
Irgendwann kommt meine ehemalige Gruppe angerollt, die sofort weiß, wo’s
langgeht. Ich sah den Wald vor lauter Bäumen nicht, wie sich herausstellt. Die
„dicke“ Kaiserin verbottelt mich astrein unmittelbar danach, und weiter geht
die Hatz. Bergauf drücken die Tschechen gutes Tempo und koppeln ein paar
Landsleute ab, auf den Geraden und bergab wirkt das Tempo gedrosselt.
Bei
Kilometer 32 kommen wir dann an so eine kurze, mit größeren Felsbrocken
gespickte Abfahrt mit drei Ausrufezeichen. Wenn in Tschechien Abfahrten mit
Ausrufezeichen oder Totenköpfen versehen werden, sollte man sich durchaus
vorsehen. Merkwürdigerweise steht dort Mütze und winkt uns zu. Ich denke erst,
dass er Panne hat, aber als ich in die Abfahrt einschwinge, sehe ich das
Dilemma. Dort liegt jemand vor Schmerzen gekrümmt, der mir sehr bekannt
vorkommt. Ich springe sofort ab vom Rad, während die Tschechen vor und hinter mir
weiterdüsen. Es geht schließlich um Sekunden in der Endabrechnung, und der Typ,
der hier quer zwischen den Felsblöcken im Weg liegt, macht sicher nur
Mittagsschlaf … Meinen Teamkollegen und Übermensch Sebastian Stark hat’s echt
übel zerlegt. Während Torsten den Verkehr am Abhang regelt, kümmere ich mich um
FK. Sein Helm ist in mehrere Teile zerbrochen, Hämatome am Kopf sind nur das
kleinere Übel, schlimmer ist sein Rücken. Als ich als „Halbmediziner“ seine
Arme und schließlich seinen Rücken und seine Wirbel abtaste, quält er sich
einen Schmerzschrei heraus. Reden kann er nicht, das Atmen fällt auch sehr
schwer. Er röchelt. Kein Wunder bei einer beidseitigen Lungenquetschung und
einem durchaus lebensbedrohlichen Pneumothorax. Dass noch vier Brust- und ein
Halswirbel gebrochen, teils sogar noch komprimiert und verschoben sind,
verschlimmert die Sache noch mehr. (Das hier darf ich alles nach Rücksprache
mit FK himself schreiben. Dadurch ersparen wir ihm Nachfragen zu seinen
Verletzungen.) Seine Arme kann er zum Glück noch bewegen. Reden ist nicht viel,
weil er’s nicht mehr kann. Bei solchen Bildern stellt man sich die Frage, wofür
das alles? Mir geht das sehr nahe, weil ich ihm nicht wirklich helfen kann und
weil mir Laura und seine beiden Knirpse durch den Kopf schießen.
Hilfe wurde zum Glück schon angefordert, sodass wir sicher
sein können, dass er gleich stabilisiert wird. Ich sage zu Torsten, er solle
weiterfahren, Torsten meint, ich solle weiterfahren, FK röchelt auch, ich solle
weiterfahren, also fahre ich irgendwann weiter – im Halbgasmodus, geschockt von
den Bildern. Den Rettungskräften weise ich noch den genauen Weg, kurz darauf
wird ihm professionell geholfen. Pitt, der inzwischen an die Unfallstelle
gekommen ist, kümmert sich weiter um ihn. Wenig später wird Sebastian per
Helikopter nach Liberec auf die Intensivstation geflogen, wo er bis dato weiter
stabilisiert und behandelt wird. Er darf jetzt geschlagene sechs (!) Wochen nur
im Bett liegen, quasi bewegungslos. Eine OP wird es aller Voraussicht nach erst
einmal nicht geben, und damit auch keinen X-Man 2.0. (Auch das darf ich
schreiben.) Unser Team und ich wünschen ihm beste und schnelle Genesung, auf
dass er schon bald wieder laufen und irgendwann auch wieder Rad fahren kann!
Der Rest des Rennens plätschert nun so dahin, da die Bilder
im Kopf ständig mitfahren. Einige der Tschechen hole ich trotz vorsichtiger
Bergabfahrweise wieder ein, dann haut’s mich trotzdem selbst vom Gaul in einer
schlammigen Spurrinne, Mütze kommt irgendwann brüllend von hinten an mich
heran, dass ich doch bitte warten möge, bis er angedockt hat. In Oybin bei
Kilometer 55 werden wir bereits sehnsüchtig erwartet und erneut von Sandra
verbottelt, Mütze teilt Laura die Geschehnisse mit. Laura begibt sich zusammen
mit der Kaiserin sofort Richtung Start/Ziel. Damit fällt für uns die dritte
eigene Verpflegung aus, aber es gibt im Moment deutlich Wichtigeres.
Den Hochwald empor kämpfe ich mit Traktionsproblemen,
Torsten kommt da deutlich besser hinauf und enteilt mir. Bergab fahre ich trotz
Fully um einiges vorsichtiger als üblich, was zur Folge hat, dass zwei
Tschechen aufschließen. Die Verpflegungsstelle am Ende der Abfahrt soll für
viele Kilometer die letzte bleiben, also fleißig nachtanken, was nur mit einem
Boxenstopp wirklich funktioniert.
Der von mir am meisten gehasste Streckenabschnitt folgt
wenig später. Dort kann ich zwar einen Tschechen abkoppeln, aber trotzdem stehe
ich im Moment wie eine Litfaßsäule. Die Schiebepassage und das wurzelige
Wiesenstück am Kamm oben verteufle ich jedes Mal aufs Neue. Über schlammige und
nicht ungefährliche Abfahrten und einen steilen Anstieg rette ich mich bei
Kilometer 77 in die Feedzone und trinke erst mal eine Flasche auf Ex. Banane,
Apfelsine, 2 Gels müssen auch dran glauben, zwei Flaschen nehme ich mit an
Bord, eine davon im Trikot, weil ich am Fully nur einen Halter habe. Zu diesem
Zeitpunkt bin ich fast wieder an meiner ehemaligen Gruppe dran, aber die
scheinen besser getrunken zu haben, weil die durchziehen an der Verpflegung.
Nach meinem Boxenstopp sind sie natürlich wieder weg.
Ab Kilometer 80 ungefähr zündet bei mir der Turbodiesel.
Zwei Elite-Muschis und einen schnellen Hobbyfahrer kann ich noch stellen, bevor
ich mit jetzt wieder guten Beinen als 16. der MEL-Klasse und 23. der
Gesamtwertung ins Ziel rausche auf einer zu den letzten Jahren etwas verschärften Strecke. Mütze ist schon da. Aber er ist nur 18. der
MEL-Klasse und 29. im Gesamtklassement. Nanu, Hase und Igel. Klar, die Tütenfee hat natürlich
auch unsere Transponder vertauscht. Macht aber nix, die Platzierungen sind
heute sekundär. Und dass ich nun Weltranglistenpunkte habe und für die
UCI-MTB-Marathon-WM am kommenden Wochenende in Laissac qualifiziert bin, auch. Keine
Sorge, lieber Alban, ich komme nicht. Zu kurzfristig und kein Geld übrig für Unterkunft,
An- und Abreise, Nationaltrikot und -hose.
Pitt Götze (100 km) und Bastian Wauschkuhn (65 km) erreichen
zum Glück im Ganzen das Ziel.
Nach dem Duschen mit kaltem Wasser, dem leckeren Essen und
dem englischen Plausch mit der ukrainischen Gesamtsiegerin, die mich in ein
Gespräch verwickelt, holen wir uns noch Infos zum Gesundheitszustand unseres
Übermenschen ein. Es bleibt bei der schlimmen Diagnose. Dass die
Heimfahrt da nicht sonderlich lustig ausfällt, ist klar. Und man möge mir
verzeihen, wenn dieser Bericht hier auch nicht mit dem üblichen Augenzwinkern formuliert
ist.
Lieber Sebastian, wir denken an dich, ich habe zweimal in
zwei Nächten von dir geträumt, wünsche dir allerbeste Gesundung, und wenn du oder
Laura Hilfe benötigen, sagste bzw. schreibste Bescheid. Übermenschen heilen übrigens
doppelt so schnell wie wir Normalos!
Ergebnisse: hier.
Next race: Mad East Challenge.
2 Kommentare:
Lieber Guido,
richte bitte vom gesamten Radon-Eleven-Team (allen voran von unserem Silvio "Hausch") allerbeste Grüße und schnelle Genesung aus! Der Familie ganz viel Kraft, dass 1.0, 2.0 und Frau die Zeit ohne ihren "Übermensch"-Papa schnell überstehen!
Danke euch, das mache ich natürlich. LG Guido
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